Dienstag, 14. Juni 2011

Europa hinter dem Geldschleier

Als ich vor über 40 Jahren in Basel Volkswirtschaft studierte, war die Ökonomie eben daran, den Schleier zu lüften, den von den Klassikern gern benutzte Begriff des "Geldschleiers" über die wahre Bedeutung des Geldes für die Wirtschaft legte. Klingt schleierhaft? So war es auch gemeint, denn Geld hat in der Tat die Gabe, das Denken unscharf zu machen.
Bei der heute aus der Mode gekommenen Geldschleier-Diskussion geht es darum, ob das Geld, die Franken-Euro- und Dollar-Beträge nur die realwirtschaftlichen (Tausch-)Vorgänge abgebildet. In diesem Fall sollte man beim Nachdenken über diese Vorgänge das Geld am besten wegdenken. Das war die alte Geldschleier-These. Die neuere Theorie ging hingegen davon aus, dass Geld eine eigene Qualität und Kraft entwickelt und deshalb in der Ökonomie mitgedacht werden müsse.
Heute weiss ich, dass die inzwischen nicht mehr so neue Theorie richtiger ist als uns allen lieb sein kann. Indem der Geldschleier das ökonomische Denken vernebelt, verunmöglicht er sinnvolle wirtschaftspolitische Diskussionen und Entscheide. Und das schlimmste daran ist: Wir merken es nicht einmal mehr.
Ein alltägliches Beispiel. In der NZZ lese ich, dass China zwar jahrelang ein an sich erfreuliches Wirtschaftswachstum von 10 Prozent gehabt habe. Leider habe dieses Wachstum aber auch Begehrlichkeiten geweckt und Lohnsteigerungen geführt, sodann China jetzt seinen Standortvorteil der tiefen Löhne zu verlieren drohe. Bereits würden einige Firmen eine Auslagerung der Produktion ernsthaft erwägen.
Reissen wir den Geldschleier mal weg. Das BIP ist das, was China jährlich produziert - und weitgehend auch selbst konsumiert. Und der gestiegene Lohn ist nichts anderes als eben dieser höhere Konsum - ausgedrückt in Geldeinheiten. Tiefe Löhne als Wettbewerbsvorteil zu bezeichnen ist idiotisch. Im Gegenteil: Wenn "Wettbewerbsvorteile" wirklich vorteilhaft sind, dann führen sie zu höheren Löhnen. Alles andere wäre Ausbeutung.
Ein anderes Beispiel sind Griechenlands Schulden, die den Euro bedrohen und deshalb jetzt dringend weggespart werden sollen. Tunnelblick auf die Geldgrösse Staatsschulden. Reissen wir den Geldschleier weg, zeigt sich eine viel komplexere Wirklichkeit. Die Schulden von Griechenland, Spanien oder Portugal sind - grosso modo - die kumulierten Handelsbilanzdefizite dieser Länder. Und diese wiederum entsprechen - grosso modo - den Überschüssen von Deutschland. Also können die Schulden- und Guthaben - innerhalb des Euroraumes nur abgebaut werden, wenn die Güterströme wieder in die andere Richtung fliessen, sprich, wenn Deutschland mehr konsumiert und seinen "Standortvorteil" der tiefen Löhne aufgibt. Sparübungen in Griechenland, Portugal und Spanien machen die Sache nur noch schlimmer.
Jetzt bleibt nur noch die Hoffnung, dass Europas Politiker wieder durch den Geldschleier hindurch sehen, bevor es zu spät ist.

Werner Vontobel

1 Kommentar:

  1. "Wenn wir einmal die Natürliche Wirtschaftsordnung erleben, dann braucht man sie nicht mehr in Büchern zu studieren, dann wird alles so klar, so selbstverständlich. Wie bald wird dann auch die Zeit kommen, wo man den Verfasser bemitleiden wird, nicht aber, wie es heute noch geschieht, weil er solch utopischen Wahngebilden nachstrebt, sondern weil er seine Zeit der Verbreitung einer Lehre widmete, die ja doch nur aus einer Reihe banalster Selbstverständlichkeiten besteht."

    Silvio Gesell

    Angefangen bei Franz Oppenheimer und John Maynard Keynes (um nur die bekanntesten zu nennen) hat es immer wieder "Besserwisser" gegeben, die versucht haben, "Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld" (Silvio Gesell, 1916) anzuzweifeln. Alle sind gescheitert. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn wer kein "Besserwisser", sondern einfach nur ehrlich ist, wird einsehen, dass Silvio Gesell in allen Punkten Recht hatte.

    Die Alles entscheidende Frage lautet: Warum hat eine Menschheit, die bereits Raumfahrt betreibt, diese "banalsten Selbstverständlichkeiten" bis heute nicht verstanden?

    Die Ursache ist eine künstliche Programmierung des kollektiv Unbewussten, die vor Urzeiten erforderlich war, um die halbwegs zivilisierte Menschheit "wahnsinnig genug" für das Unternehmen "Arbeitsteilung mit Konstruktionsfehlern" zu machen; denn kein vernünftiger Mensch wäre dazu bereit, in einer a priori fehlerhaften (kapitalistischen) Marktwirtschaft zu arbeiten, wenn er weiß, dass ein nachhaltiges Wirtschaften unmöglich und der nächste Krieg unvermeidlich ist. Das - und nichts anderes - war (und ist noch) der eigentliche Zweck der Religion, die vom Wahnsinn mit Methode zum Wahnsinn ohne Methode (Cargo-Kult um die Heilige Schrift) mutierte, und die uns - unabhängig vom so genannten Glauben - alle zu Untertanen machte, die ihr eigenes Programm nicht kennen.

    Allerdings konnte der Krieg - zwecks umfassender Sachkapitalzerstörung, um den Zinsfuß hochzuhalten - nur solange der Vater aller Dinge sein, wie es noch keine Atomwaffen gab! Der bevorstehende, eigentliche Beginn der menschlichen Zivilisation setzt die Überwindung der Religion voraus - die Bewusstwerdung der Programmierung nennt sich "Auferstehung". Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert: http://www.deweles.de

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