Sonntag, 12. Juni 2011

GELD

Bahnhofstrasse Ende April. 12 Personen haben sich für ein besonderes Seminar eingeschrieben – eine Strassenretreat nach dem Vorbild von Bernie Glassman. Er begann damit anfangs der 90 Jahre in den Strassen von New York. Es gilt, sich für ein paar Tage mit ein paar Franken, aber ohne Koffer und Schlafsack, ohne Feldflasche und Picknick dem Leben auf der Strasse zu öffnen und sich berühren zu lassen von der Freude und dem Leid, das uns dort begegnet. Die „Strasse“ wird sozusagen zum Klassenzimmer und zur Lehrmeisterin.
Für dieses Mal sollte nicht der berühmt berüchtigte Kreis 4, sondern die Bahnhofstrasse zum Lern- und Übungsort werden. In der vorbereitenden Runde klagten die Teilnehmenden darüber, dass ihnen der Morgenkaffe am meisten fehlen werde. Auf dem Weg zum Bahnhofplatz zeigte sich dann eine erste Überraschung. Ein Mann verteilte Werbezettel, die zum Gratiskaffee im neu eröffneten Mac Donald einluden. Da er uns gleich mehrere mitgab, war der Morgenkaffee damit gerettet. In dieser Weise ging es den ganzen Tag weiter. Um das Essen brauchten wir uns nicht zu sorgen. Grosszügig waren Ladenbesitzer jeweils bereit, uns Nahrungs-mittel zu überlassen, die nicht mehr ganz frisch waren.
Tagsüber waren wir immer zu zweit unterwegs, manchmal sassen wir während ein paar Stunden am selben Ort und liesse uns vom geschäftigen Treiben in der Bahnhofstrasse berühren, tauchten ein in eine Atmosphäre von Kauflust und Atemlosigkeit, von Hochglanzfolien-schönheit und müden, abgespannten Gesichtern. In dieser Strasse rollt der Rubel, da und dort hüpft er munter vor sich hin. So fanden wir beispielsweise an einem frühen Morgen eine 100 Franken Note auf einem Trottoir liegen.
Rund um den Paradeplatz herrschte eine besondere Stimmung. Zwar war auch hier tagsüber ein hektisches Treiben. Die würdigen Eingangshallen der Banken lösten bei den Teilnehmenden widersprüchliche Empfindungen aus: ehrfürchtige Distanziertheit und Zorn, Respekt und Ohnmacht, Selbstverständlichkeit und Neugier. Wir versuchten zu verstehen, was hinter diesen Mauern passiert und was Geld bedeutet.

So setzten wir uns an einem Abend nach der Rush Hour in einem Kreis in die Mitte des Platzes. Schon nach kurzer Zeit stand die Polizei vor uns. Etwas ungläubig liessen sie uns gewähren, wie sie hörten, dass wir für die Mitarbeitenden der Banken meditierten und „Geld“ verstehen wollten.
Hier ein paar Erkenntnisse aus der Meditation:
„Geld ist Energie, die fliessen will. Wird es gehortet, so fängt es wie stehende Gewässer an zu stinken und vergiftet allmählich das Klima. „
„Geld, das nicht fliessen kann, behindert den Kreislauf des Lebens.“
„Hat Geld keinen realen Gegenwert, so fehlt die Bodenhaftung. Der freie Fall mit fatalen Konsequenzen für viele ist vorprogrammiert.“
„Je mehr Geld, umso geringer die Erfahrung der Fülle des Lebens. Verlust droht und Angst wächst.“
„Geld ist wertneutral. Binde dein Herz nicht daran und lass es fliessen.„
Fazit der Meditation war: „Merke dir im Umgang mit Geld: Die wichtigsten Dinge des Lebens lassen sich nicht kaufen.“

Anna Gamma

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