Freitag, 16. September 2011

Das viele Geld und seine Folgen

In den letzten dreissig Jahren hat sich weltweit die Geldmenge im realen
Sektor etwa vervierfacht, im Finanzsektor ist sie mehr als 40 Mal grösser geworden. Da stimmt schon etwas nicht, denn im realen (produktiven) Sektor werden Güter produziert und Dienstleistungen erbracht und damit Werte geschaffen, das Geld als Zahlungsmittel hat einen Gegenwert in der geleisteten Arbeit und damit in Gütern. Im (unproduktiven) Finanzsektor findet keine Wertschöpfung statt - es werden nur bestehende Sach-, Finanz- und Geldwerte hin und her geschoben und umverteilt, das Geld als Wertaufbewahrungsmittel oder Geldvermögen hat keinen Gegenwert, sucht aber ständig Gegenwerte in der Form von bestehenden Sachwerten (Land, Immobilien, Unternehmen, Rohstoffe, Gold, alte Meister) oder Finanzwerten (Aktien, Obligationen, Staatspapiere). Das durch die effektive Nachfrage nach Gütern beschränkte Volumen an neuen Investitionen ist bei einem gut entwickelten Bankensystem in normalen Umständen über Eigen- und Fremdmittel bald gesichert. Die Frage, wer Bankkredite erhält, bleibt aber offen. Auch werden in einem Konjunkturabschwung die Banken bei der Kreditgewährung zurückhaltend sein.
Um Missverständnisse zu vermeiden: es braucht eine bestimmte Geldmenge als Reserve im
Finanzsektor; Individuen, Nonprofit Organisationen und Unternehmungen können dann Gelder anlegen, die sie gerade nicht brauchen, und unvorhersehbaren Situationen
begegnen. Allgemein muss der Finanzsektor im Dienste des realen Sektors stehen und nicht umgekehrt, wenn eine moderne Wirtschaft normal funktionieren soll: die Produktion von Gütern und das Erbringen von Dienstleistungen muss im Vordergrund stehen und nicht Finanztransaktionen.
Wie kommt nun das viele Geld in den Finanzsektor? Hauptsächlich, weil Bankkredite zur
Finanzierung von neuen Investitionen im realen Sektor (Maschinen, Anlagen) endogene
Geldschöpfung darstellen: neue Güter werden produziert und neue Einkommen entstehen. Diese Bankkredite drängen nun einen Teil des Sparens vom realen in den Finanzkreislauf ab, weil die verdrängte Sparsumme ja nicht mehr gebraucht wird, um Investitionen zu finanzieren (Sparen gleich Investieren ist die grundlegende gesamtwirtschaftliche Gleichgewichtsbedingung!). Dieser Prozess wird verstärkt durch die Kreditfinanzierung von neuen Staatspapieren durch Banken (damit kann über Zinszahlungen viel Geld gemacht werden, das direkt vom Steuerzahler berappt wird) und Zentralbanken. Der Kauf von bestehenden Staatspapieren durch die Zentralbanken, des Fed vor allem, mit dem Ziel die Zinssätze niedrig zu halten (quantative easing), schleust zusätzlich riesige Summen in den Finanzsektor.
Diese gigantischen Geldsummen suchen Anlagen, in Aktien, Land, Immobilien, deren Preise steigen. So müssen die Unternehmungen immer höhere Gewinne realisieren, um
eine bestimmte Verzinsung des Geldkapitals zu sichern. Aus Geld soll so mehr Geld gemacht werden. Der reale Sektor rückt so in den Dienst des Finanzsektors. Eine wachsende Finanziarisierung der Wirtschaft ist die Folge: der Finanzsektor dominiert zunehmend den realen Sektor.
Die weltweiten Folgen sind zunehmende Ungleichheiten der Einkommens- und
Vermögensverteilung. Die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt und die Arbeitslosigkeit steigt, was einen Druck auf die Löhne ausübt, die Einkommensverteilung noch ungleicher macht, was wiederum die Arbeitslosigkeit steigert. Eine ungleichere
Einkommensverteilung führt auch erhöhtem Sparen, wodurch wiederum zusätzliche Gelder in den Finanzkreislauf geschleust werden; weiss gewaschene Gelder jeglicher Herkunft fliessen ebenfalls direkt in den Finanzsektor. Durch die sich verstärkende Finanziarisierung entstehen kumulative Abwärtsspiralen. Mit rückläufigem Volkseinkommen gehen die Steuereinnahmen zurück,
Budgetdefizite und Schulden explodieren. Ausgabenkürzungen
(Austeritätspolitik) verschlimmert die Situation - die richtige Strategie wären höhere Steuern auf Grosseinkommen und -vermögen,
was amerikanische und deutsche Milliardäre übrigens vorschlagen! Das würde
Geld vom Finanzsektor wieder in den realen Sektor zurückpumpen, gleich wie die
Einrichtung von Stiftungen, z.B. die Adolph-Merkle-Stiftung (110 Mio SFr) zugunsten der Universität Freiburg i.Ü. oder die Stiftungen von Bill Gates und Warren Buffet in den USA (je über 40 Mia US $).
Nur Länder und Regionen mit sehr exportstarkem realem Sektor vermögen den
negativen Folgen einer zunehmenden Finanzierung standzuhalten. Die Schweiz ist das
Paradebeispiel. Weltweit gesehen stellt sich eine für die Schweiz zentrale Frage: In welcher Währung sollen die Riesengelder im Finanzsektor gehalten werden. Dollar und Euro sind in Schwierigkeiten, das Pfund befindet sich bereits im Abseits; 1925 bezahlte man für ein Pfund noch 21 Franken, was erahnen lässt, dass 20 bis 30 Rappen pro Dollar nicht unmöglich sind; Myret Zaki spricht sogar
von La Fin du Dollar! Viele stürzen sich deshalb auf den Schweizer Franken.
Was tun? Eurokäufe sind wegen einer wahrscheinlich massiven Ausweitung der Geldmenge
nicht ungefährlich; einen Staatsfonds einrichten und Anlagestrategien festlegen
braucht Zeit und kann auch mit erheblichen Risiken verbunden sein; Negativzinsen auf Anlage suchende ausländische Gelder ab einem bestimmten Betrag und einem festzulegenden Zeitpunkt sind bei weitem die
schnittigste Waffe. Die Zinsschraube kann man sofort anziehen, bis der
gewünschte Frankenwert erreicht ist. Und die Wünsche dürfen Realwirtschaft und (Real-)Politik äussern!

Heinrich Bortis, Universität Freiburg i.Ü.

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