Sonntag, 24. Juli 2011

Das Mass aller Dinge

"Geld ist das Mass aller Dinge", sagt der Finanzwissenschaftler, und seine Äuglein glänzen. "Mit Geld kann ich die unterschiedlichsten Dinge vergleichen und ihren Wert am Markt messen."

"Du hast Recht", sage ich. "Denn nirgends gibt es sonst ein Mass, das alle Dinge erfassen könnte: Flüssiges misst man in Litern, Festes in Kilogrammen, Langes in Metern, Dauerhaftes in Jahren und so fort. All das lässt sich aber in Geld messen, wenn man seinen wirtschaftlichen Wert messen will."

"Nein", sagt der Betriebswirtschaftler, "der wirtschaftliche Wert liegt nicht im Geld, sondern in der Wertschöpfung. Wertvoll ist eigentlich die produktive Tätigkeit, welche vorhandene Güter in solche mit höherem Wert transformiert. Entscheidend ist der Nutzen, den der Produzent für sich und seine Käufer stiftet."

"Du hast Recht", sage ich. "Denn erst der Mehrwert eines Produktionsprozesses schafft einen Wert, der höher ist, als jener der schon vorhandenen Güter".

"Nein", sagt der Volkswirtschaftler. "Eigentlich wertvoll ist erst der Beitrag zum Volkseinkommen, der mit der Wertschöpfung geleistet wird."

"Du hast Recht", sage ich. "Denn der individuelle Wert für Produzent und Käufer ist erst als Teil der Wohlfahrt der Gemeinschaft sinnvoll."

"Nein", sagt der Unternehmer. "Das ist Theorie. Wertvoll ist für mich, dass ich mit meinen Leuten einen sinnvollen Beitrag zum Wohlergehen meiner Kunden leisten kann. Jeder soll nach seinen Wünschen glücklich leben können."

"Du hast Recht", sage ich. "Denn der Wert des Wirtschaftens liegt doch darin, dass jeder durch seine Leistung zum grössten Glück der grössten Zahl beiträgt."

"Nein", sagt der Philosoph. "Nicht das grösste Glück der meisten Leute ist der höchste Wert unseres Strebens. Entscheidend für die Qualität des Lebens ist vielmehr die Gerechtigkeit. Die beste Lebensform ist jene, welche jeden Einzelnen am wirksamsten vor Unrecht schützt."

"Du hast Recht", sage ich. "Denn jenseits aller Güter und Glücksvorstellungen ist die Würde des Menschen das echte Mass für ein sinnvolles Leben".

"Nein", sagt nun der Banker. "Das ist mir alles zu komplex. Da halte ich mich doch lieber an das Geld. Ein Mass muss einfach sein. Mit Glück und Würde aber kann ich gar nichts messen."

"Nein", sage ich. "Wenn du das Geld allein zum Massstab machst und dabei die Wertschöpfung, das Volkseinkommen, das Glück und die Gerechtigkeit beiseite schiebst, hast du kein Mass. Dein Handeln bleibt wertlos, schadet der Wohlfahrt, macht andere unglücklich und wird ungerecht. Was du an Geld gewinnst, verlierst du an Mass. Denn Geld allein ist nur das Mass aller Undinge".

Philippe Mastronardi

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